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„Hold short runway 23L“ hat der Tower-Controller gesagt. Ich stehe mit meiner Boeing 737-800 der World-Travel-Airline auf dem Taxiway Mike in Düsseldorf, die Taxi-Checklist ist abgehakt, das Briefing komplett. Vor mir beginnt gerade ein Airbus von FlyOnyx mit dem Start. Ich habe also noch kurz Zeit für einen weiteren Blick auf meine Instrumente: das EICAS zeigt mir beispielsweise, wie der Treibstoff auf die Flächen- und den Centertank verteilt ist und ob ich beim Rollen schon die Bremsen warm gemacht habe.
„Line up runway 23L“ und kurz danach „cleared for takeoff“. Am Overhead-Panel werden Strobe- und Landing-Lights eingeschaltet, am MCP der Autothrottle Switch auf “Arm” gelegt und am Transponder wird das TCAS auf “TA/RA” und “Above” gestellt. Sofort erscheint auf dem Navigationsdisplay der gerade vor mir gestartete Flieger. Im Rahmen der Takeoff-Checklist gilt meine Aufmerksamkeit noch einmal kurz den Takeoff Daten: Der Wind kommt wie erwartet etwas schräg von vorne links, für das heutige Startgewicht von ca. 71 Tonnen –unsere Maschine ist mit 175 Passagieren ausgebucht- benötige ich nicht den vollen Schub, die Assumed Temperature beträgt 49 Grad Celsius. Abbrechen kann ich den Start bis 154 KIAS (knots indicated airspeed) (V1), ich rotiere bei 167 KIAS (Vr) und steige dann mit 175 KIAS (V2) hinaus. Der FMC (FlightManagementComputer) hatte mir ähnliche Werte geliefert und damit meine Takeoff Performance Berechnung bestätigt.
Nach dem Line-up geht es auch gleich los, denn hinter mir ist bereits ein Flieger im Endanflug, der auf meiner Bahn landen möchte. Ich starte die Stopuhr und durch drücken des TO/GA-Buttons setzt das Autothrottle-System (automatische Schubkontrolle) die für den Start berechnete Triebwerksleistung von 96,2 % N1. Ein knapp 90 minütiger Kurzstreckenflug beginnt.
Dies könnte eine Szene aus der realen Luftfahrt sein. Tatsächlich ist es ein Erlebnis an meinem heimischen PC in Detmold, der die technischen Details ebenso darstellt wie Städte, Straßen, Flüsse, Seen, Gebirge, Küstenlinien und andere geografische Gegebenheiten.
Ich bitte für den ausgiebigen Gebrauch von englischsprachigen Begriffen und Fachausdrücken um Verzeihung. Der Versuch einer durchgehenden Übersetzung erweist sich im Bereich der modernen Luftfahrt oft als unzweckmäßig und klingt bisweilen sehr komisch.
Das Fahrwerk ist eingefahren, ich steige mit 2.000 Fuß pro Minute und der Tower-Controller übergibt mich an den Center-Lotsen. Ich drehe die neue Frequenz ein und melde mich an: „Langan Radar guten Tag, TravelAir 189 passing 2.000ft climbing 5.000ft.“ Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „TravelAir 189, Langan Radar guten Tag, identified, climb Flight Level 210“. Wie es in der Luftfahrt vorgegeben ist, wiederhole ich die neue Freigabe bzw. in diesem Falle die neue Anweisung „Flight Level 210, TravelAir 189“. Mittlerweile fliegt der Autopilot die vorher programmierte Strecke ab. Er steuert weiterhin unsere Steigrate. Der AutoThrottle steuert unsere Geschwindigkeit, die unterhalb von Flight Level 100, was 10.000 Fuß entspricht, 250 Knoten nicht übersteigen darf. Ab dem Transition Level, in Europa in der Regel bei 5.000 Fuß, stelle ich den Höhenmesser auf den Standardluftdruck von 1.013,25 hPa ein, damit alle Flugzeuge ab dieser Höhe mit dem zwar falschen, aber dafür gleichen Luftdruck „arbeiten“.
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Nachdem wir unsere Reiseflughöhe erreicht haben, wird es im Cockpit etwas ruhiger. Trotzdem werden weiterhin alle relevanten Instrumente überwacht. In unregelmäßigen Abständen bekommen wir von der Flugsicherung, kurz ATC (AirTrafficControlCenter) genannt, neue Anweisungen und Freigaben und werden von einem ATC zum nächsten durch gereicht.
Um das Online-Fliegen so real wie möglich zu machen, gibt es eine weltweite ATC Abdeckung von so flugbegeisterten Leuten wie mir, die anstatt dem Cockpit einen Radarschirm auf ihrem Monitor sehen und in ihrer Freizeit verschiedene virtuelle ATC-Stellen besetzen. Dafür gibt es eine virtuelle Ausbildung, in der von erfahrenen Leuten das für die entsprechenden Positionen notwendige Wissen vermittelt wird. Schließlich möchten wir nicht von einem ahnungslosen Anfänger durch die Luft dirigiert werden. Piloten und Lotsen stehen über eine Art Voice over IP Sprechverbindung in Kontakt, so dass Freigaben auch in Echtzeit erfolgen können. Das alles geschieht in unserem Online-Netzwerk „VATSIM“ (Virtual Air Traffic Simulation). Alles läuft so ab, wie es auch in der realen Luftfahrt abläuft: Wir halten uns ganz genau an die Karten der einzelnen Flughäfen, die alle relevanten Informationen zu An- und Abflugrouten bieten. Weiterhin nutzen wir ILS (Instrument Landing System) Anflugkarten, die einen Anflug auf die ausgewählte Landebahn auch bei noch so schlechtem Wetter möglich machen so wie die Ground Charts, auf denen die Rollwege zu den einzelnen Gates ersichtlich sind. Die Routen, die wir abfliegen, sind Routen der DFS (Deutsche Flugsicherung). Wir fliegen also nicht wahllos durch die Luft, sondern gehen mit sehr viel Ernst an die Sache heran, um unsere Fliegerei möglichst nah an der Realität zu halten. So bekam ein Pilot den Ernst der Sache zu spüren, als ihm bei einem Gruppenflug nach Sarajevo die Landeerlaubnis verweigert wurde, da seine Maschine die für die Uhrzeit vorgeschriebene Lärmschutzausrüstung nicht vorweisen konnte. Tatsächlich ist es so, dass sehr viele echte Piloten und echte Controller bei uns mit dabei sind.
Selbstverständlich fliegen wir auch bei realem Wetter. Das heißt, wenn es in Düsseldorf in der Wirklichkeit gerade regnet, dann regnet es auch an unserem simulierten Düsseldorf Airport. Um das Wetter richtig gut darstellen zu können, ist eine Zusatzsoftware (AddOn) wie zum Beispiel ActiveSky erforderlich. Auch für andere Bereiche sind sehr viele AddOns zu bekommen: Flugzeuge, Landschaften, Flughäfen und so weiter. Es gibt recht viel Software, die von begeisterten Flugsimulationsfans mit viel Liebe zum Detail erstellt wird und dazu noch kostenlos angeboten wird. Auf der anderen Seite gibt es Firmen, die Software programmieren und kostenpflichtig anbieten. Selbstverständlich kann man sein Geld auch für Hardware, die über den reinen PC nebst Zubehör hinausgeht, ausgeben. Bereits für knapp 20.000,- Euro, genügend Enthusiasmus und eine verständnisvolle Frau vorausgesetzt, kann man sich ein funktionsfähiges (!) Cockpit im Maßstab 1:1 einer Boeing 737 zu Hause aufbauen. Selbstverständlich gibt es auch günstigere Instrumente, die zwar optisch nicht den Originalen entsprechen, aber dennoch die erforderlichen Funktionen simulieren und somit den Realitätsgrad weiter steigern.
Nun mag sich der ein oder andere Leser fragen, was denn nun das besondere an unserem Hobby ist. Als Online-Pilot finde ich es immer wieder spannend, einen neuen Flug zu planen. Ich weiß nie, was mich auf dem Flug alles erwartet und wo die Controller mich lang lotsen. In der Regel wird zwar der von mir aufgegebene Flugplan auch eingehalten, dennoch kann immer etwas dazwischen kommen, so dass kurzfristige Änderungen der Streckenführung erforderlich sind. Weiterhin lerne ich auf jedem Flug wieder etwas Neues dazu, auch wenn es sich vielleicht nur um Details handelt. Die Vokabel „ausgelernt“ gibt es bei uns nicht. Zum Schluß ist es die Herausforderung, den Flieger punktgenau auf die Landebahn zu setzen – auch bei starkem Wind oder Regen. Interessant finde ich auch die Kommunikation mit den Controllern. Ich spreche mit Leuten, die ich noch nie gesehen habe, als wenn wir uns schon ewig kennen. Piloten und Controller vertrauen sich quasi blind. Gleiches gilt für die verschiedenen Internet-Foren. Ich kann eine Frage zu jedem technischen Detail eines Flugzeugs oder einer Anflugprozedur stellen und mindestens eine fundierte Antwort trudelt im Laufe des Tages ein. Meist jedoch schon ein paar Minuten später. Dazu kommen reale Treffen wie die jährlich stattfindende Flugsimulator-Konferenz am Flughafen Paderborn oder die WTA-real-life-Treffen, wo man die Leute trifft, mit denen man sonst nur per Funk in Kontakt steht. Nicht zuletzt ist es –wenn auch nur virtuell- die Erfüllung eines Traums, der in der Realität leider nicht wahr geworden ist.
Aber was reizt die Controller, ihre Freizeit am PC zu verbringen? Für die einen steht die Ambivalenz an erster Stelle: Einerseits ist die Flugverkehrskontrolle ein riesiger Komplex an Regeln, die die Freiheiten eines Controllers massiv einschränken in dem, was er tun darf. Andererseits die kreative Seite. Von jedem "real life" Controller wird man immer wieder hören, dass "Flexibilität" eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste, Fähigkeit eines Controllers ist. Mit dieser Flexibilität den Verkehr zu organisieren, ihn "smooth" am Laufen zu halten, auf Situationsänderungen intelligent und kreativ zu reagieren, dabei immer versuchen der "Kundschaft" im Einzelfall und in der Gesamtheit ein möglichst optimales "Ergebnis" zu bereiten, das hat bisweilen schon etwas von Kunst. Der Reiz ist nun beides zu vereinen. Unter all den die Freiheit des Controllers einschränkenden Regeln immer noch ein kreatives, gutes Ergebnis für alle zu erreichen… das ist die Herausforderung. Reine Technokraten werden wohl nie gute Controller. Rein der Muse verschriebene auch nicht. Der Mittelweg ist golden. Ihn möglichst gut zu treffen ist das Ziel.
Für andere ist es die Erfüllung eines Traums, der in der Wirklichkeit nie Realität wird. So sagt ein echter Privatpilot: „Nach Düsseldorf rein zu fliegen, war immer was besonderes: Du wirst vor dem Final in die Airliner eingereiht, du sprichst englisch mit dem ATC (auf einem kleinen Sportflugplatz erklärt man dich dafür für verrückt...), du kannst die Sprüche ablassen, die du lange vorher schon auf deinem Scanner gehört hast... Toll!“
Nach mehreren Besuchen auf dem düsseldorfer Tower war er fasziniert davon, wie der Tower-Lotse inmitten der erschlagenden Technik den Überblick behielt, sich mit einem Kollegen unterhielt und mitten im Satz ein „Lufthansa 8569, cleared to land 23“ in das Microfon sprach.
Eine Operation verhinderte die Verlängerung seines Medicals, so dass der Fliegerei zunächst ein Ende gesetzt war. 2003 stieß er auf VATSIM, wo er zumindest wieder online Fliegen konnte. Weiterhin nutzte er die Chance, mal auf der anderen Seite der Leitung zu sitzen. Das zu tun, was er schon immer wollte, wozu sich in der Realität niemals eine Chance aufgetan hätte. Er hat es getan und seitdem ist er dabei. Und wer einmal dabei ist, der bleibt...
Die Controller organisieren sich in den virtuellen AreaControlCentern (VACCs), die Piloten hingegen fliegen oftmals für die Airline, die sie im echten Leben auch bevorzugen. Weiterhin gibt es eine ganze Reihe virtueller Airlines, wie z. B. die World Travel Airline (WTA), für die ich unter dem Rufzeichen „Travel Air 189“ unterwegs bin. Das schöne bei der WTA ist, dass wir eine relativ kleine Airline sind, bei der mehr oder weniger jeder jeden kennt und keine Mindestflugstunden erforderlich sind. Mitbestimmung wird bei uns groß geschrieben und es gibt ein exzellentes Pilots Training Department, dessen Mitglieder sich sehr umfassend um die Anfänger kümmern. Auf der anderen Seite gibt es „FlyOnyx“, eine mittlerweile sehr große Airline, die sogar Tochterunternehmen hat. Dort hat man vielleicht mehr Aufstiegsmöglichkeiten, dafür wird es auf Grund der Größe unübersichtlich und unpersönlich. Auch von realen Airlines gibt es virtuelle Ableger. Zu nennen sind hier z. B. die Eurowings Virtual Airline, American Airlines virtual oder Pan Am virtual Airline. Für jeden Geschmack ist also etwas dabei. Dabei reicht das Alter der Piloten von ca. 15 Jahren bis weit in den Ruhestand. Unser Hobby kennt quasi keine Altersgrenzen.
Wir haben unsere Reiseflughöhe und den deutschen Luftraum bereits verlassen. „Vienna Radar, Grüß Gott, Travel Air 189 passing Flight Level 185 descending Flight Level 160 inbound VENEN” gebe ich meine Absichten dem österreichischen Controller bekannt. „Travel Air 189, proceed direct VENEN and descent Flight Level 100, start reducing speed 240 knots“ bekomme ich als Antwort. Mit “Direct to VENEN and descent Flight Level 100 reducing 240 knots, Travel Air 189” lese ich die Freigabe noch einmal zurück. Ab jetzt geht alles ziemlich schnell. Kurz vor dem Wegpunkt VENEN übergibt mich der Centerlotse von Wien Radar an den Anflugcontroller: „Travel Air 189, contact Vienna Arrival on 128.2, tschüss“. „128.2, Travel Air 189, tschüss“ lese ich zurück. Sofort melde ich mich an: „Vienna Arrival, grüß Gott, Travel Air 189 passing Flight Level 120 descending Flight Level 100 inbound VENEN“. Der Controller gibt uns direkt einen Vektor für das ILS der Landebahn 34 „Travel Air 189, Vienna Arrival, grüß Gott, continue descent FL 70 and turn right heading 200. Expect vectors for ILS approach runway 34“. „Turn right heading 200 and descent Flight Level 70, vectors ILS 34, Travel Air 189“. So werde ich immer weiter bis auf 5000 Fuß herunter geschickt. Wichtig an dieser Stelle: Den Höhenmesser wieder auf den aktuellen Luftdruck einstellen, damit ich auch meine richtige Höhe angezeigt bekomme. Der Lotse dreht uns auf den Endanflug ein: „Travel Air 189, turn left heading 300 and descent altitude 4000ft, you are cleared for the ILS approach runway 34“. Sobald ich die Sender des ILS eindeutig empfange und mich auf dem Gleitpfad befinde, höre ich aus dem Lautsprecher „Travel Air 189, contact Vienna Tower 119.4. tschüss“. Nachdem ich mich beim Tower angemeldet habe, bekomme ich meine Landefreigabe „Travel Air 189, Vienna Tower, wind 310 degrees 7 knots, runway 34 cleared to land“.
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